Freitag, 7. Oktober 2016

Auf beste Weise ungewohnt

An kreativen Ideen mangelt es den Kindergärtnerinnen ja nicht. Beinahe täglich bringt Cedric zuckersüsse, selbstgebastelte Geschenke nach Hause, welche nach einer Weile diskret entsorgt werden dekorativ auf dem Tisch landen. Heute im Rucksack: Die dritte Kette aus gesammelten Kastanien. Modell C würde wahrscheinlich einen Elefanten glücklich machen (und passen!). Aufgezogen sind locker zwei Kilo Herbstfrüchte, die Löcher wurden mit der Bohrmaschine gefertig. Wenn ich mir das Ding umhänge, bekomm ich es mit meiner Physiotherapeutin zu tun.

Weniger willkommen sind die Bazillen und Käfer, welche nicht minder häufig den Weg zu uns finden. Nach drei Monaten in Linz sind wir inzwischen beim vierten Schnupfen und der zweiten Runde Magendarm angelangt. Nach der xten Waschtrommel in Folge möchte ich morgens um drei die Betten nur noch mit Müllsäcken beziehen... Während ich darauf warte, wieder einzuschlafen, kreisen die Gedanken. Warum nicht zum Schulanfang der Elternschaft ein Panini-Album verteilen? "The Good, the Bad and the Ugly." Anstelle von Messi, Schweinsteiger und Ronaldo werden nach einer erfolgreich überstandenen Infektion Pickerl von Rhino- und Rotaviren, Staphylococcus aureus oder Coronavirus HKU1 verteilt und eingeklebt. Wer zuerst immunisiert ist! 

Ganz alles haben wir nicht zurück gelassen in der Schweiz. Mitgenommen haben wir nebst Plüschtieren, leeren Bierdosen (einzeln sorgfältig in Zeitungspapier verpackt - ein Transportunternehmen mit Humor!) und eine Kilobüchse Aromat auch einige schlechte Angewohnheiten. Aufstehen? Erst nach dem dritten Rufen und Decke wegziehen. Frühstücken? Am liebsten immer das, was gerade NICHT aufgedeckt ist. Selber anziehen? Vergessen wies geht... 

Solange noch Sommerferien waren, krochen bei uns gegen acht Uhr morgens zwei widerlich gut gelaunte, überaus gesprächige und ausgehungerte Buben aus den Federn. Frühstücken? Juhui! Was für ein wunderbares Müesli, danke Mami! Gibts noch Kakao? Kaum wurde aber Mitte September der Wecker zurückgestellt, spielten sich im wilden Haushalt wieder die altbekannten Dramen ab. Da genügt das falsche Muster auf der Tasse, um Heulkrämpfe auszulösen und in den Schnittelistreik zu treten. 

Bildbeweis aus besseren Zeiten:








 
Am letzten Freitag vor Schulbeginn gebe ich den Quengeleien nach und fahre mit den beiden Jungs in einen nahen Indoorspielplatz. Die Preise sind trotz Euro und Willkommensgutschein für Zugezogene gesalzen und gepfeffert. Aber das ist es mir allemal wert. Ich hab mir ein Buch eingepackt und kann für einmal mehr als eine Seite am Stück lesen. Gelegentlich kommt einer der beiden vorbei und nimmt einen Schluck aus der eingeschmuggelten Sigg-Flasche. Ansonsten habe ich zwei Stunden meine Ruhe!









Letzter Punkt auf der To-Do-Liste bevor die Schule losgeht ist ein Friseur-Besuch. Sind das nicht zwei Prachtexemplare? 







Bei allen Hindernissen, welche wir hier beim Einreisen und Einnisten überwinden mussten, haben wir ein Ziel erreicht: Papa-Zeit aufstocken! Während Michael früher schon um 6:15 Uhr das Haus verlassen musste, können wir hier in Linz gemütlich gemeinsam frühstücken (vorausgesetzt, Cedric bekommt seinen Willen und die blaue Tasse...), machen uns anschliessend fertig für die Arbeit und Schule, und das Beste: Ich winke allen dreien nach und habe danach die Bude für mich alleine.



Noch im Pyjama erledige ich den Haushalt, höre per Tune-In die neusten Nachrichten aus der Schweiz und setze mich anschliessend frisch geduscht hinter meine Korrespondenz. Es gibt so viel zu tun! Die Supra zieht immer noch monatlich unsere alten Prämien ab, weil ein achtseitiges Formular fehlt, welches ich vor WOCHEN handschriftlich ausgefüllt und eingesandt habe. Aber gut. Wer der Post vertraut statt einzuschreiben, hat das Nachsehen und isst ab Mitte Monat nur noch Kartoffelsalat. Ebenso unterhaltsam: Der nette Herr von der Versicherung weiss nicht, dass nur Diplomaten die alten KFZ-Schilder an die Schweizer Botschaft in Wien schicken dürfen. Normalsterbliche müssen die Kennzeichen verschrotten lassen und die Bestätigung an das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt daheim schicken. Lustiger Fakt: Die Schilder sind inzwischen verschollen, vermutlich verschrottet und keiner weiss wo und vom wem. Der Emailverkehr füllt mittlerweile einen kleinen Ordner. 


Mit dem Bus fahren wir in den Hafen. Aus dem erhofften Sightseeing wird allerdings nichts. Der Industriehafen ist für neugierige Nasen gesperrt, Betreten verboten.
Notgedrungen fahren wir zurück in die Stadt und trösten uns mit einer Eiswaffel.


Spielen dürfen die Kinder nur in der Sandkiste hinter dem Haus, bellt der Nachbar von gegenüber. Und droht im selben Atemzug mit Anzeige und Polizei. Oha, grad eso! Dabei ist es hier zwischen den Häusern viel schöner und schattiger. So schnell lassen wir uns nicht vertreiben...

Obligates Selfie beim Bummeln in Freistadt.

In der Plus City eröffnen siebzig neue Läden. Der Umbau ist nun fast abgeschlossen. Zur Feier des Tages setzen wir uns fürs Zvieri in den Dunkin' Donut. Die beiden Buben können sich fast nicht entscheiden.
Cedric wählt schliesslich einen Mr. Nice Guy und Max beisst genüsslich in einen Happy Face.

Dank dem schönen Spätsommerwetter verlängert die Badi ihre Saison um eine Woche. Wir lassen uns die Derniere nicht entgehen!







Die Linzer lassen keine Festgelegenheit aus. Die Steiermark ist Mitte September zu Besuch, und der Landstrasse nach reiht sich ein Stand mit lokalen Köstlichkeiten an den nächsten. Kürbiskernöl lockt uns weniger, dafür gibt es Leberkäs-Semmel und Eis für alle. Die Sorte Himmelblau schmeckt nach Banane und geht gottseidank in der Wäsche wieder raus.




Kunsthandwerk by Max


Was der Steinmann für Thun, ist der Jindrak für Linz. Wir lassen uns für € 5.90 ein kleines Frühstück schmecken, während Cedric im Kindergarten spielt. Die Schule startet erst in einer Woche. Max und ich geniessen die selten gewordene Zeit zu zweit.






Cedrics Kindergarteneinstieg verläuft traumhaft unkompliziert. Rasch helfen wir ihm noch in die neuen Monsterfinken und sind gefasst, die nächsten zwei Stunden auf Miniaturstühlchen zu verbringen, da verschwindet Cedric auch schon im Kindergetümmel. Zu einem kurzen Drücker lässt er sich noch überreden, aber das wars. Und jetzt denkt euch mal, wessen Kind man um zwölf geradezu gewaltsam aus der Kindergartenstube lösen muss? Wir können nur staunen, mit welchem Selbstbewusstsein er sein Pensum meistert und neue Freundschaften knüpft. Die Steigerung von einem Spielgruppenvormittag von zweienhalb Stunden auf fünf Vormittage von acht bis zwölf... das ist schon eine Leistung für einen Dreijährigen, finden wir. Und nehmen dafür in Kauf, dass Cedric gelegentlich wieder einen Mittagsschlaf benötigt oder ohne ab 17 Uhr schrecklich ungeniessbar wird. 




Ganz feierlich stellt sich Max mit seiner Schultüte am ersten Schultag zum Foto auf. Nach drei Bildern winkt er ungeduldig ab. Ich will nicht zu spät kommen, Mama!  Leider verpasse ich den besonderen Moment, denn Cedric ist krank und braucht mich zuhause. Die folgenden Bilder stammen von Michis Handykamera.




 

Auch wenn Max gut gestartet ist und gerne zur Schule geht, vermisst er das gemächliche Tempo und die Freiheiten der Basisstufe. Die verordneten Hausübungen sind zu einer tägliche Geduldsprobe für Mutter und Sohn geworden. Schultechnisch fühlen wir uns um mindestens zehn Jahre zurückgeworfen. Der Unterricht ist klassisch frontal, Blockzeiten sind ein Fremdwort, und das Kreuz hinten im Schulzimmer befremdet ebenso wie die Portraits österreichischer Politiker über der Schulzimmertür. Nach drei Wochen wird uns per Elternbrief der Beschluss mitgeteilt, eine Turnstunde sei ab sofort gestrichen, um den Stundenplan für die Erstklässler zu optimieren. Man stelle sich den Aufschrei und die verärgerten Telefonate an den Schulleiter in einem Berner Vorort vor. Undenkbar! 
Wir werden ohne Religionsbekenntnis tolerant akzeptiert, lassen Max aber am freiwilligen Religionsunterricht teilnehmen. Schliesslich sind die katholischen Feiertage zahlreich, und wir wehren uns auch nicht gegen die angenehmen Ausfälle im Kalender. 
 
Mit seinem Auge für Details entdeckt Max ein tolles Bildmotiv!

Unser kulinarischer September: 


Heiss geliebt: Spaghetti mit Lachs-Sahnesauce






Fingerfood für einen Fernsehabend: Hühnchen mit Paprika und roter Zwiebel


Der Sugo blödderlet für Max' Zmittagwunsch.
 


Lasagne!


  







Dieser portugiesische Rüeblikuchen ist ein Hit. Den Fehler, ihn gleich frisch zu kosten, werden wir nicht wiederholen. Am nächsten Tag hat sich der Geschmack gigantisch entwickelt! 


Hier das übersetzte Rezept:

Zutaten: 
  • 3 mittelgrosse Karotten
  • 3 Eier
  • 180ml Pflanzenöl (Geschmackstest mit 170g Butter ausstehend)
  • 240g Mehl
  • 180g Zucker (ich kürze immer drastisch, aber bitte..)
  • 1 EL Backpulver
Karotten, Eier und Öl in einem tüchtigen Mixer während einiger Minuten fein pürieren. Trockene Zutaten beigeben und gut vermengen. In einer Kuchenform in der Ofenmitte bei 180 Grad backen und auskühlen lassen. 

Guss:
  • 120g dunkles Kakaopulver
  • 120g Zucker (geits no? Die Hälfte reicht locker!)
  • 50g Butter
Alles in einer Pfanne mischen, kurz aufkochen und dann über den Kuchen laufen lassen. 

Pilzragout auf Nudeln - ohne Rezept: Chnobli, Zwiebel, gemischte Pilze, Salz, Rahm... jaddajadda.


Penne an sämiger Thunfisch-Tomatensauce

Zutaten für die beste aller Saucen:
  • 1 Dose Thon
  • 1 Zwiebel, fein gewürfelt
  • 1 Knoblauchzehe, gepresst
  • 1 kl. Dose Pelati (ca. 200g)
  • 2 Gala-Käsli
  • 2 EL Crème fraîche
  • wenig Instant-Gemüsebouillon 
  • Basilikum
  • Salz und Pfeffer
  • wenig Tomatenpüree
  • Pflanzenöl

Die Nudeln bissfest kochen.

Die Zwiebeln in Öl glasig anbraten, Tomatenmark dazugeben und kurz mitrösten, etwas Zucker dazugeben, dann Knoblauch und die gehackten Tomaten (keine passierten, es sollen Stückchen sein). Etwas Gemüsebouillon angiessen, einen Deckel auflegen und die Sauce kurz köcheln lassen. Den abgetropften und kleingeschnittenen Thunfisch dazugeben, in der Sauce erhitzen. Schmelzkäse,
Crème fraîche und Basilikum in die Sauce rühren und mit schwarzem Pfeffer abschmecken, bei Bedarf auch etwas salzen.

Die Nudeln mit der Sauce vermengen und schlemmen.


(Und definitiv nie, nie, NIE am nächsten Tag in einer Lehrerzimmerküchen-Mikrowelle aufwärmen...Oh, Gott!)


Picture by Max: Faules Mittagessen, bestehend aus einer Tiefkühl-Margharita und Tütensuppe mit Rahm. Braucht keiner die Luft einzuziehen. Es hat im Fall geschmeckt!
Grande Finale: Röschti mit Spiegelei!



Ist es zu fassen?! Wir sind beschildert!! 5 Wochen, 12 Telefonate und fast 4000€ später ist es geschafft. Unser Volvo ist getarnt. Ein bisschen wehmütig bin ich schon, als ich die Schweizer Schilder dem Versicherungsmenschen mitgebe. Ade, Exotenstatus! Ab jetzt heisst es, fahren wie eine Einheimische! (Was um ein Vielfaches einfacher wäre, wenn die Österreicher HAIFISCHZÄHNE auf den Teer malen würden. Lacht ihr nur! Jeder künftige motorisierte Besuch sei freundlich gewarnt. Ihr werdet bei jeder, von rechts einmündenden Strasse zusammenzucken. Und feststellen, dass nur etwa 5 Prozent davon echte Rechtsvortritte sind.) 

Höhenrausch 2016:














Die Schwiegereltern reisen an. Schon Tage vorher gibt es bei uns kein anderes Thema mehr, Besuch aus der Schweiz! Michaels Eltern nehmen die 700km unter die Räder und bleiben für ein paar Tage in Linz. Leider ist das Hotel ihrer Wahl bereits ausgebucht, daher nächtigen sie in der lokalen Filiale einer grossen Hotelkette (benannt nach einem weissen Schreitvogel). Der Schilderung nach hat das Zimmer die Grösse eines Hamsterkäfigs ohne dessen Annehmlichkeiten. So frühstücken wir gemeinsam im Granola in der neueröffneten Plus City und geniessen die wertvolle Zeit. Längizyti haben wir gehabt nacheinander! 

Max fällt es trotz Vorfreude schwer, im ersten Moment aufs Grosi und den Grosspapi zuzugehen. Als es an der Türe klingelt, ist er wie blockiert, überfordert mit seinen Emotionen und zieht sich ins Zimmer zurück, um ein Legoauto fertig zu bauen. Als jeder Stein sitzt, sind scheinbar auch die Gefühle geordnet. Er stürmt den Grosseltern entgegen und in die Arme und mag gar nicht mehr loslassen. Er saugt die Berührungen regelrecht auf und möchte die nächsten Tage sogar unterwegs getragen werden, um keine Minute Körperkontakt zu verpassen.





Nur ungern lassen wir sie nach drei Tagen wieder ziehen. Die Schule beginnt wieder, und die Schwiegereltern haben eigene Termine, die daheim warten. Einziger Trost: In drei Wochen treffen MEINE Eltern bei uns ein! Vorfreude ist die schönste Freude..

 
11 Wochen und ein Tag - ich vermisse:
 
#5 Blévita und Kägi fret 
#4 Eigenes Geld auf dem Konto 
#3 Lädele unter den Lauben (ohne #4 eh keine Option) 
#2 Bratensauce von Knorr (ohne schmeckt Hörnli, Ghackets und Öpfumues einfach nicht) 
#1 Familie und Freunde
 
11 Wochen und ein Tag - Dinge, die ich jetzt schon nicht mehr hergeben möchte: 
#5 Gleitende Kindergartenzeiten - was für ein Segen!  
#3 Mozartkugeln, aber die Echten! 
#2 Direktbesteuerung 
#1 Austraizismen wie Paradeiser, Erdäpfel, Kren, Verlängerter, Vorrang und Trafik. 


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